Geisterbahnfahrten durch Myzelien. Oder: Frühling für alle.

Eine Annäherung an die Texte der Schweizer Autorin Adelheid Duvanel.

Von Friedrich Hahn.

Es wird ein Versuch bleiben. Kann nur ein Versuch bleiben. Ich will es dennoch wagen, etwas über Adelheid Duvanels Prosa-Miniaturen zu sagen.

Was sofort auffällt: Duvanels Geschichten, meist nicht länger als eineinhalb Seiten, lassen sich nur schwer nacherzählen. Auf die Frage „Was liest denn da?“ kommt man als Leser in Verlegenheit. Ähäm. Collagen von Momentaufnahmen? Falsch. Streiflichter ins Nebenhinaus, an die Ränder, da wo die Außenseiter zu finden sind? Hmmm. Alles falsch. Oder? Meist weiß ein Satz nichts vom vorigen. Und auch nichts vom nächsten. Auch die Figuren bleiben einander, auch wenn sie dann und wann sogar interagieren, fremd. Wiewohl sie genau durch dieses Fremde -quasi im Vorbeigehen, -definiert werden. Aber kaum glaubt man, hier bahnt sich eine Geschichte an, kommt ein Stelzengänger ums nächste Eck, überquert eine trächtige Katze den Platz. Dann brodelt’s und blubbert’s in Duvanels Alchimistentextküche. Da noch ein fetter Traum, dort noch eine Brise Surreales…und schon beginnt die Phantasie, „die fliegende, flatternde, Purzelbäume schlagende Schwester der steifbeinigen Wahrheit“ wie wild zu rattern. Es hat etwas von einer Fahrt in der Geisterbahn.

Man sieht nie alles. Will noch einmal mitgenommen werden, entdeckt beim zweiten Mal lesen, beim dritten Mal immer wieder noch Neues, Überraschendes. Es ist halt wie im richtigen Leben. Es lässt sich halt nicht so einfach erzählen. Und erst recht nicht linear. Biografien bestehen aus zig Verästelungen, unendlichen Bezügen, schälen sich aus dem Schemenhaften des Atmosphärisches heraus. Ich stell mir die Prosa von Duvanel als Myzel vor, ein unterirdisches Geflecht von Lebenslinien, die aufeinander zustreben, um sich dann auch vielleicht im nächsten Satz wieder abzustoßen und auseinanderzudriften. Überhaupt herrscht in Duvanels Kurzgeschichten viel Bewegung. Da kann es dann auch manchmal ganz schön holpern und rumpeln: „In einem Schaufenster waren rote und blaue Krücken ausgestellt und ein Plakat verkündete: >Frühling für alle.>“ Der allerdings blieb Adelheid Duvanel selbst vorenthalten. Sie beging im 60. Lebensjahr 1996 (wie 10 Jahre vor ihr ihr Ehemann) Suizid. Ihre Prosa…das ist der Frühling. Der literarische Frühling. Immer wieder frisch, erfrischend. Und daher eine unbedingte Lese-Empfehlung! Eine Entdeckung. Seite für Seite. Satz für Satz.

Adelheid Duvanel „Das verschwundene Haus“, Erzählungen (Luchterhand Literaturverlag, Darmstatt 1988)

Adelheid Duvanel „Beim Hute meiner Mutter“, Erzählungen (Nagel & Kimche, München 2004)

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