Markward, Seraphina, Isabel und die Kunst des Alleinseins.

Zu Arno Dahmers Debütroman „Der Mythos von mir“

KUL-JA PUBLISHING, 244 Seiten, 22 Euro

Ich sehe einen Dozenten in einem Deutschkurs für Ausländer vor mir. Er steht vor einem Whiteboard, lächelt und heißt Markward Hain. Privat hat er „seine ganze Existenz straff um den Asketismus herum gespannt – sie erhielt dadurch Würde und Sinn.“ Beste Voraussetzungen also für einen unspektakulären Plot ohne besondere Höhepunkte. Fragezeichen. Bleibt man dennoch dran, so liegt das wahrscheinlich an dem Wort Mythos. Mythos von mir (der Titel ist übrigens ein Zitat von Kierkegaard und findet sich auf Seite 239, 4 Seiten vor Schluss) klingt nach Autofiktion und Schlüsselloch-Voyeurismus. Und in der Tat: Liest man die Biografie des Autors auf der hinteren Klappe, könnte man durchaus auf die Idee kommen, dass viel Arno Dahmer in diesem Markward Hain steckt.

Ich habe den Begriff Mythos gegoogelt. Das Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet in etwa sagenhafte Geschichte. Was also ist an Markward Hain sagenhaft? Er ist Privatphilosoph, lebt alleine, pflegt außer mit Seraphina, einer Studienkollegin, und einer Tante keinen sozialen Austausch. Und es passiert erst einmal über die ersten 100 bis 150 Seiten so gut wie nichts, außer dass Hain einmal nackt um eine Kapelle tanzt, oder von einer Motorradgang übel aufgemischt wird. Arno Dahmer hat es sich bei seinem Romandebüt nicht leicht gemacht. Es sind die feinen, nuancierten Töne, die den Mythos von Hains unscheinbarer Vita zu einem literarischen Erlebnis machen. Schon auch daher, weil Dahmer unangestrengt erzählt, frei von verkrampft literarischen Attitüden.

Am Ende scheint das Leben (sprich: des Autors Fantasie) aber dann doch Ernst machen zu wollen. Markward Hain lernt in einem Ausflugslokal Isabel Fastabend kennen. Ein bizarres Spiel zwischen Nähe und Distanz (Katalogtext) beginnt.  Aber auch diesem Verhältnis haftet etwas Fiktionales an, so heißt es einmal: „Wir haben ein…Fantasiegespinst vor Augen und wagen nicht, es an der Wirklichkeit zu messen, nicht wahr?“ Was also bleibt am Ende? „Wenn man von den Irritationen durch Isabel einmal absah, hatte sich sein Lebensmodell über ein Vierteljahrhundert hinweg kaum verändert.“ Und wenn Hain am Ende Isabel doch noch einmal trifft, legt sich Dahmer wieder nicht fest: „Das war das Ende. Oder der Anfang.“ Tja und schon sehe ich Markward Hain wieder vor einem Whiteboard, vielleicht nicht mehr lächelnd, eher ein wenig nachdenklich. Und wahrscheinlich ohne einen einzigen Schüler, eine einzige Schülerin. Den Rest muss sich jedeR selbst erfinden…

Zur Anregung kann man sich ja mal im Verlagsprogramm von KUL-JA PUBLISHING, wo JA  Dahmers Mythos erschienen ist, umschauen. Ein junger Verlag, der tolle Bücher macht! Und immer für eine Entdeckung gut ist.

Juli 2023

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